Konservative Christen sehen sich zunehmend Kritik und Anfeindungen ausgesetzt – immer häufiger auch Verboten und Klagen. Gerade bei ethisch sensiblen Themen wie Abtreibung und Homosexualität scheint die konservativ-christliche Position mehrheitlich auf Ablehnung zu stoßen. Gerade deshalb sei es heute wichtig, dass Christen vom Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch machen, meint der Sprecher der christlichen Menschenrechtsorganisation ADF International, Andreas Thonhauser.
Wenn sie spricht, dann hört man nicht nur, sondern spürt fast die Begeisterung hinter ihren Worten. Jedes Leben sei schützenswert, sagt sie. Und: Jeder Mensch habe das Recht, seine Überzeugung im öffentlichen Raum frei zu äußern. Als Verantwortliche für die örtliche Gebetsinitiative “40 Tage für das Leben”, mache sie lediglich von diesem Recht Gebrauch. Was genau ihre Gruppe mache? “Wir beten”, erklärt sie und ihre Augen leuchten dabei.
Pavica Vojnović lebt mit ihrem Mann in Pforzheim. Seit 2018 engagiert sich die gebürtige Kroatin für den Schutz ungeborenen Lebens. Einige Gleichgesinnte aus ihrer katholischen Pfarrei unterstützen sie dabei. Zweimal im Jahr beten sie 40 Tage lang vor der lokalen Niederlassung einer Abtreibungsorganisation. Friedlich. Freundlich. Sie spricht die Frauen, die in die Beratungsstelle gehen, nicht von sich aus an, schenkt ihnen lediglich ein Lächeln. Zu Beginn gab es kein Problem mit der Beratungsstelle, die Beter wurden geduldet, das zuständige Amt gewährte die stille Versammlung vor dem Haus. Doch dann mischte sich die Politik ein. Zuerst musste sie auf die andere Straßenseite wechseln. Dann sogar außer Sichtweite.
Was man öffentlich sagen darf
Das nahm Frau Vojnović nicht hin. Das Beten lasse sie sich nicht verbieten. Sie klagte, der Prozess ist im Gange. Felix Böllmann, Rechtsanwalt und Experte für Rede- und Meinungsfreiheit, sieht das Recht auf der Seite der Betenden. Das Grundgesetz schützte Versammlungsfreiheit, sowie Meinungs- und Glaubensfreiheit. Diese existenziellen Freiheiten dürften nicht einfach untergraben werden. Letztendlich gehe es in dem Fall darum, ob ein Ordnungsamt darüber entscheiden dürfe, was eine “richtige” und was eine “falsche” Meinung sei, so Böllmann. Und das sei mit Sicherheit nicht die Aufgabe von Beamten.
Der Jurist beschäftigte sich eingängig mit Meinungs- und Glaubensfreiheit. Gemeinsam mit Kollegen, die für die “Evangelische Allianz” tätig bzw. im Netzwerk “Christ und Jurist” engagiert sind, publizierte er die mittlerweile in dritter Auflage erschienene Informationsbroschüre “Rede Frei!” Auf Basis der aktuellen Gesetzeslage in Deutschland werden Fragen rund um sogenannte “Hassrede”, politische Korrektheit bis hin zu aktuellen Rechtsfällen im kirchlichen Bereich beleuchtet. Es herrsche zunehmend Unsicherheit unter Pastoren, Priestern, Lehrenden, Lebensschützern und generell Gläubigen, was man überhaupt öffentlich sagen darf und was nicht.
Die Fälle häufen sich
Das verwundert wenig. Erst kürzlich machten Fälle wie jener von der Restaurantbesitzerin Young-Ai Park in Berlin Schlagzeilen. Die Polizei konfiszierte in ihrem asiatischen Lokal einen Bibelspruch zum Thema Homosexualität, den sie – neben vielen anderen Bibelzitaten zu allen möglichen Lebensbereichen, die die Wände des Restaurants zieren – in die Auslage gestellt hatte. Pastor Olaf Latzei in Bremen sieht sich mit einer Anklage vor dem Strafgericht konfrontiert, weil er in einem Seminar LGBT-Aktivisten in seinem Stadtviertel als “Verbrecher” bezeichnete. Er hatte damit die Verantwortlichen für immer wieder an seine Kirche gesprühte Graffitis und sein zerkratztes Auto gemeint. Er entschuldigte sich danach für die Wortwahl. Dennoch wird sein Prozess voraussichtlich am 20. November stattfinden. Pikantes Detail am Rande: Das Amtsgericht verlegte die mündliche Verhandlung in eine Konzerthalle mit 1.400 Sitzplätzen. Die Ortswahl legt die Vermutung nahe, dass hier ein öffentliches Tribunal mit Signalwirkung stattfinden sollte.
Sprechen über Jesus ist geschützt
Pforzheim, Berlin und Bremen – wie frei ist man in Deutschland also noch, biblisch basierte Überzeugungen zu scheinbar kontroversen Themen wie das Recht auf Leben, Ehe und Familie zu äußern, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? “Rede Frei!” macht zumindest auf rechtlicher Ebene Mut. In Deutschland ist Rede- und Meinungsfreiheit im Grundgesetz langfristig abgesichert, übrigens ebenso wie der staatliche Schutzauftrag für Leben und für Ehe und Familie. Auch so genannte “Hassrede”-Gesetze hebeln dieses Grundrecht nicht aus. Wörtlich heißt es in der Broschüre: “Die Glaubensfreiheit und insbesondere auch das freie Sprechen über Jesus Christus und alle Themen mit Glaubensbezug werden durch deutsches und europäisches Recht stark und umfassend geschützt.”
Drei Trends
Warum kommt dann überhaupt die Frage auf, was man “noch” sagen darf? Gibt es überhaupt ein Problem mit freier Meinungsäußerung? Drei aktuelle Trends tragen dazu bei, dass dieser Eindruck entsteht: digitale Meinungszensur, gezieltes Benennen und Anprangern von ungeliebten Meinungen und Personen also Methode des politischen Meinungskampfs, sowie strategische Gerichtsfälle, die die bekannten Parameter infrage stellen.
Zuerst zur digitalen Zensur: An dieser Stelle schrieb kürzlich die Publizistin Birgit Kelle über Zensur im Netz. Unternehmen wie Facebook, Twitter oder Google, entscheiden selbstständig, welche Inhalte sie zensieren und welche nicht. Grundsätzlich der Meinungsfreiheit verpflichtet, wurden sie zunehmend von traditionellen Medien und Regierungen in die Pflicht genommen, die Verbreitung sogenanter “Hassrede” und “Fake News” einzudämmen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind z.B. das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz aus dem Jahr 2017 oder das Abkommen, das EU Kommissarin Jourova 2016 mit großen Internetunternehmen stellvertretend für die Europäische Union traf.
Damit lagerten die EU Staaten zensierende Maßnahmen bequem an private Unternehmen aus. Das eigentliche Problem besteht dann im fehlenden Rechts- bzw. Berufungsweg. Wurde erst einmal eine gewisse Meinung als verletzend eingestuft, gibt es kaum ein rechtliches Mittel, um dagegen vorzugehen. Es bleibt den Internet-Giganten Vorbehalten, welche Meinung sie zulassen und welche nicht. Löschen sie aber bestimmte Inhalte nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen, drohen ihnen empfindliche Strafen durch den Staat. Dieser Mechanismus gepaart mit der Quasi-Monopolstellung der großen Plattformen lässt ihre Entscheidungen einer Zensur gleichkommen.
Lobbyisten: Christen fördern den Hass
Ein weiteres Phänomen ist das “Naming and Shaming”, zu Deutsch Benennen und Anprangern. Diese Taktik wird gerne von Lobbygruppen gewählt. Vor allem in den USA fand sie eine starke Verbreitung. So betreibt dort eine politische Aktivistengruppe eine sogenannte Hassliste. Darauf werden Organisationen vermerkt, die nach Auffassung der Gruppe “Hass” verbreiten. Neben dem Ku-Klux-Klan und anderen rechtsradikalen Gruppen wurden aber in den vergangenen Jahren vor allem christliche Lebensschutz- und Familienorganisationen auf die Liste gesetzt. Deren Sicht auf Abtreibung und Ehe fördere den Hass und andere fühlten sich verletzt, so die Argumentation. Einflussreiche Medien übernehmen dann diese Anschuldigungen ohne eigene Prüfung.
Damit wird großer Schaden angerichtet, denn niemand lässt sich gerne mit einer “Hassgruppe” sehen. Auch nach Europa und Deutschland wurde diese Taktik exportiert. Der englische Aktivistenblog Open Democracy etwa hat es sich zur Aufgabe gemacht, Geldströme aus den USA an christliche Organisationen wie Heartbeat International oder die Billy Graham Evangelistic Association “aufzudecken”. Pikantes Detail am Rande: Der Blog wird selbst vor allem durch US-Gelder finanziert, allen voran die Open Society Foundation, die von einem US-Milliardär mit ungarischen Wurzeln gegründet und milliardenschwer ausgestattet wurde. Das hindert dann aber selbst öffentlichrechtliche Medien, die gesetzlich zur Neutralität verpflichtet sind, nicht, diese Beiträge als objektive Darstellungen zu übernehmen und die politischen Aktivisten als unabhängige Journalisten und Experten zu zitieren.
Prozesse, um Recht zu ändern
Schließlich sollte noch die strategische Prozessführung Erwähnung finden. Dabei werden Gerichtsfälle benutzt, um geltendes Recht in eine bestimmte Richtung abzuändern. Dabei wird ein Fall bis zum Höchstgericht in einem Land getrieben, um eine Präzedenz für eine Uminterpretation bestehender Gesetze zu schaffen. In Deutschland wäre dafür das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema assistierter Suizid ein Paradebeispiel. Oft verwendet man solche Gerichtsfälle auch, um eine Signalwirkung an alle zu erzielen. Egal ob es dann zu einer Verurteilung kommt oder nicht, die Botschaft ist klar: Wer auch immer es wagt, zu einem vermeintlich falschen Thema Position zu beziehen, bekommt Probleme.
Keine Verbote sondern Argumente
Eine freie, demokratische Gesellschaft lebt vom Diskurs. Besonders dann, wenn es um kontroverse Themen geht. Wer sich verweigert oder die Diskussion unmöglich macht, hilft niemandem und untergräbt Grundrechte wie Meinungs- und Glaubensfreiheit. Die gute Nachricht: Von offizieller staatlicher Zensur sind wir nach wie vor weit entfernt. Was aber zu denken geben sollte: Auch indirekte Meinungslenkung durch neue und traditionelle Medien, die durch Politik und Wirtschaft befeuert wird, kann Tabus erschaffen und demokratischen Meinungsaustausch verhindern, wo es gerade mehr davon bräuchte. Einer “schlechten” Meinung sollte nicht mit dem Verbot begegnet werden, sondern mit besseren Argumenten und der Übung eines umfassenden Diskurses.
Gerichtsverhandlung gegen Latzei – idea wird berichten
Der evangelikale Bremer Pastor Olaf Latzei muss sich vor dem Amtsgericht der Hansestadt in einem Strafverfahren wegen Volksverhetzung verantworten. Der Prozess im Bremer Konzerthaus “Die Glocke” beginnt am 20. November. Folgetermine sind am 25. und 30. November vorgesehen. Die Anklage bezieht sich auf Äußerungen Latzeis in einem Eheseminar im Herbst 2019 in seiner St.-Martini-Kirchengemeinde. idea wird bei dem Prozess vor Ort sein – und in der kommenden Ausgabe von ideaSpektrum über den Auftakt am 20. November berichten.
[Tekst objavljen u: ideaSpektrum 47/2020]